Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen oder mit Erde aus dem Wald oder Gemüsegarten in Kontakt kommen, entwickeln deutlich seltener Asthma als Stadtkinder. Ursache für diesen Allergieschutz sind offenbar die Einflüsse auf das Mikrobiom in der Nase und im Magen-Darm-Trakt. Derzeit arbeiten die Allergologen an Immuntherapien, die das Keim- bzw. Allergen-Spektrum aus dem ländlichen Bereich für Kinder ohne Bauernhofkontakt nachahmen.

Schon vor mehr als 20 Jahren konnte Professor Erika von Mutius aus München nachweisen, dass Kinder, die auf Bauernhöfen mit Kuhställen aufwachsen, deutlich seltener an Asthma leiden als Stadtkinder.

Lebensstil hygieneorientiert versus traditionell naturverbunden

Diese Erkenntnisse werden von aktuellen Untersuchungen bestätigt. Dabei geht es nicht nur um den Unterschied zwischen Stadt und Land, sondern auch um den Lebensstil. Prof. Tari Haahtela aus Helsinki (Finnland) belegte dies mit den Ergebnissen eines Vergleichs zweier Bevölkerungsgruppen in Karelien: Eine Gruppe lebte auf der finnischen Seite mit eher westlichem, hygieneorientiertem Lebensstil, die andere auf russischem Territorium lebte traditionell und naturverbunden. So spielten finnische Kinder überwiegend drinnen, wurden für den Waldspaziergang wie Astronauten verpackt und kannten Gemüse nur aus dem Supermarkt. Die Kinder im russischen Karelien spielten ohne Ausrüstung im Freien und ernährten sich von Obst und Gemüse direkt aus dem Garten – ein bisschen Erde dran reinigt den Magen, wie der Volksmund sagt. Dazu standen auf ihrem Speiseplan selbst eingemachte Lebensmittel wie Sauerkraut, Salzgurken oder andere fermentierte Speisen.

Schmutz schützt vor Allergie

Die finnischen Forscheruntersuchten in beiden Gruppen Schulkinder von 7 bis 16 Jahren auf Birkenpollen-Sensibilisierung und stellten fest, dass diese bei den finnischen Kindern fast dreimal häufiger war als bei den russischen. Ebenso war die Asthma- und die Heuschnupfen-Prävalenz auf der finnischen Seite von Karelien um ein Vielfaches höher.
Die Wissenschaftlergehen davon aus, dass dieser Unterschied vermutlich auf der Prägung des Immunsystems bei den Kleinkindern durch unterschiedliche Noxen beruht. Um dies nachzuweisen, sammelten die Forscher in den Haushalten der beiden Bevölkerungsgruppen den Hausstaub. Und auch hier taten sich große Unterschiede auf: Im Staub aus russischen Häusern fanden sich weit mehr und weit vielfältigere Bakterienspezies und Sporen als im Staub der finnischen Haushalte. Kurzgesagt:Je mehr Mikroben, desto weniger Allergien [1].

Biodiversitäts-Hypothese

Diese Ergebnisse führten Haahtela und seine Kollegenzu der Biodiversitäts-Hypothese: Der Mensch bzw. sein Immunsystem steht in ständigem Kontakt mit seiner Umwelt und akquiriert (und beherbergt) durch Essen, Atmen und Anfassen ständig Mikroben. Diese bilden auf der Haut, auf den Atemwegen und vor allem im Darm ein Mikrobiom aus, das seinerseits das Immunsystem beeinflusst, z. B. via Memoryzellen. Je stärker der Kontakt zur Natur ist – also je häufiger und je unterschiedlicher die Einflüsse aus Wald, Wiese, Feld und Garten sind, desto mehr bereichert sich das Mikrobiom. Und umso mehr setzt sich das Immunsystem mit den verschiedenen Noxen auseinander und ist so gegen viele Bedrohungen gewappnet. So wird das Immunsystem insgesamt, vor allem aber die Balance zwischen Abwehr und Toleranz gestärkt. Das schützt dann auch langfristig vor Allergien und entzündlichen Störungen, so Haahtela [2].

Infokasten: Tipps zur Allergievorbeugung

Primäre Prävention
  • Stillen sollte gefördert werden.
  • Feste Nahrung ab dem 4.–6. Monat
  • Unnötigen Kontakt mit Umgebungsallergenen (Essen, Haustiere) vermeiden
  • Immunabwehr stärken durch vermehrten Kontakt mit natürlicher Umgebung
  • Immunabwehr stärken durch Bewegung
  • Immunabwehr stärken durch gesunde Ernährung, z. B. mediterrane Kost
  • Antibiotika sorgsam einsetzen. Die meisten Bakterien sind nützlich und unterstützen die Gesundheit.
  • Probiotische Bakterien, z. B. in fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut, unterstützen das Immunsystem.
  • Nicht rauchen!

Sekundäre (tertiäre) Prävention
  • Regelmäßig Sport bzw. Bewegung, besonders für Asthmatiker:innen (gilt für Kinder und Erwachsene)
  • Immunabwehr stärken durch gesunde Ernährung, z. B. mediterrane Kost
  • Fermentierte Lebensmittel oder andere Zubereitungen mit probiotischen Bakterien sollten verstärkt verzehrt werden.
  • Eine spezifische Immuntherapie (oral, sublingual oder subkutan) sollte erwogen werden.
  • Bei Entzündungen der Atemwege bzw. der Haut gilt "hit hard and early"; für die Langzeitkontrolle entzündlicher Erkrankungen muss jedoch eine verträgliche Dauertherapie gefunden werden.
  • Nicht rauchen

Bauernhofstaub kann Stadtkinder schützen

Diese Biodiversitäts-Hypothese wird von den Ergebnissen einer finnisch-deutschen Studie gestützt, bei der die mikrobielle Zusammensetzung der Innenraumluft in den Wohnungen von Bauern- und Nichtbauernkindern in Zusammenhang mit Allergien und Asthma untersucht wurde [3]. Wie von Mutius erläuterte, belegt die mikrobielle Analyse des Hausstaubs aus dem Wohnbereich dieser Kinder, dass die Zusammensetzung und die Vielfalt der im Hausstaub enthaltenen Bakterien und Pilzsporen signifikant zum Asthmaschutz beitragen. Je mehr die Zusammensetzung der Hausstaubmikrobiota dem des Bauernhausstaubs ähnelt, desto größer ist der kindliche Schutz vor Asthma. Auch Kinder, die nicht auf Bauernhöfen aufwachsen, genießen einen Schutz vor Asthma, wenn die Innenraumluft eine bauernhofähnliche Hausstaubmikrobiotaaufweist.

Weniger Zytokine durch Bauernhofstaub

Dass dies tatsächlich einen Einfluss auf das Immunsystem hat, konnte dieses Forscherteam ebenfalls nachweisen. Sie untersuchten auch die Zytokin-Zusammensetzung im Blut der Studienkinder. Dabei ergab sich, dass sich im Blut der Kinder, die zuhause den Asthma-protektiven Hausstaub eingeatmet hatten, deutlich weniger proinflammatorische Zytokine fanden als in den Kontrollgruppen. Offenbar begünstigt der frühkindliche und anhaltende Kontakt mit einer vielfältigen bakteriellen Umwelt die Entwicklung eines ausgewogenen Immunsystems und verhindert überschießende Reaktionen der immunologischen Abwehr [3], so von Mutius weiter.

Asthmatherapie auf dem Bauernhof?

Heißt dies nun für die Therapie, dass alle Kinder mit Asthmarisiko auf Bauernhöfe geschickt werden sollten? Immerhin haben Untersuchungen ergeben, dass Waldkindergärten, vor allem wenn noch Kontakt zu Bauernhöfen mit Kühen besteht, da schon eine gewisse Reduktion der Allergie- und Asthmahäufigkeit bewirken. Da man jedoch nicht alle Kinder auf einen Bauernhof bringen kann, müsste der Bauernhof bzw. dessen Mikrobiotazu den Stadtkindern kommen. In ersten Pilotstudien hat man dies schon versucht, wie von Mutius berichtete.

Bakterienlysat reduziert Asthmaanfälle

Kindern unter drei Jahren, die unter häufigen Asthmaanfällen litten, wurde sublingual ein Bakterienlysat auf der Basis ganzer inaktivierter Bakterien (MV130) oder Placebo verabreicht. Ergebnis: In der MV130-Gruppe wurde eine signifikant niedrigere Anzahl von Asthmaattacken festgestellt als in der Placebogruppe. Zudem gingen in der Verumgruppe die Dauer der Anfälle, insgesamt die Symptome sowie der Verbrauch an Medikamenten zurück. Die bakterielle Schleimhaut-Immuntherapie mit MV130 erwies sich somit als sicher und klinisch wirksam bei Kindern mit häufigen Asthmaanfällen [4].
In einer anderen placebokontrollierten Untersuchung wurde Vorschulkindern ein Bakterienlysat (OM-85 BV, Broncho-Vaxom®) oral gegeben und beobachtet, wie sich dies auf die Anzahl von Keuchattacken bei akuten Atemwegsinfektionen (ARTI) auswirkt. Tatsächlich reduzierte sich in der Verumgruppe signifikant die Häufigkeit und Dauer von Keuchanfällen bei Vorschulkindern mit ARTI [5].

Mikrobiom – Schlüssel zur Allergieprävention?

Wie Haahtela betonte, bestätigten diese Erfolge mit Bakterienlysaten, dass das Mikrobiom in den Atemwegen und im Magen-Darm-Trakt offenbar einen großen Einfluss auf das Immunsystem hat. Derzeit sind die Forscherden genauen Mechanismen auf der Spur. Hierbei ist das Mikrobiom des Gastrointestinaltrakts besonders in den Fokus gerückt. Wie von Mutius zusammenfasste, ist offenbar eine frühe Reifung des Darmmikrobioms im ersten Lebensjahr mit einem erniedrigten Asthmarisiko im Alter von sechs Jahren assoziiert. Die frühe Reifung wird allerdings nicht nur durch Kontakt mit Viehställen, sondern auch mit dem Verzehr von Hühnereiern (am besten direkt aus dem Stall) oder auch dem Stillen bis zum sechsten Monat gefördert. Negativ wirken sich eine Brustfütterung über den 12. Monat hinaus oder auch das Rauchen der Eltern aus [6].

Wichtig für die Sprechstunde
  • Bei hygieneorientiertem vs. naturverbundenem Lebensstil entwickelten Kinder häufiger Asthma/Heuschnupfen.
  • Im Hausstaub von Bauernhäusern sind mehr Mikroben.
  • Ein Bakterienlysat kann Asthmaattacken reduzieren.

Quelle: Symposium «Harmonizing research and patient care in Allergy, Asthma and Clinical Immunology» beim Jahreskongress der European Academy of Allergology and Clinical Immunology (EAACI), 10.–12. Juli 2021 in Krakau und online.


Literatur:
1. Haahtela T et al.: The Finnish Allergy Programme 2008–2018 works, Allergy Programme Steering Group, Eur Respir J. 2017;49:1700470.
2. Haahtela T: A biodiversity hypothesis. Allergy. 2019;74(8):1445-1456.
3. Kirjavainen PV et al.: Farm-like indoor microbiota in non-farm homes protects children from asthma development. Nat Med. 2019;25(7):1089-1095.
4. Nieto A et al.: Bacterial Mucosal Immunotherapy with MV130 Prevents Recurrent Wheezing in Children: A Randomized, Dou-ble-blind, Placebo-controlled Trial, American Journal of Respira-tory and Critical Care Medicine. 2021;204(4):462-472.
5. Razi CH et al.: The immunostimulant OM-85 BV prevents whee-zing attacks in preschool children, J Allergy Clin Immunol. 2010;126(4):763-769.
6. Depner M et al.: Maturation of the gut microbiome during the first year of life contributes to the protective farm effect on childhood asthma, Nat Med. 2020;26(11):1766-1775.


Autorin
Angelika Ramm-Fischer



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (6) Seite 18-20