Ganz nahe vor der Küste Kenias liegt eine kleine Insel im Indischen Ozean. Ihr Name ist Lamu, und seit mehr als 1.000 Jahren treffen sich hier Kulturen aus aller Welt und hinterlassen ihre Spuren. Bis heute hat sich die Insel ihre arabischen, indischen und afrikanischen Einflüsse bewahrt. Und schon im Jahr 2001 wurde die Hauptstadt des Archipels von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Da spricht doch Einiges dafür, Lamu einmal näher kennenzulernen.

Es herrscht Stau auf der Hauptgeschäftsstraße in Amu: Neben einer Karawane aus vier Eseln, die mit dicken Packtaschen voller Steine beladen sind, zwängt sich ein Handkarren, der mit langen Holzbalken bestückt ist. Doch der vordere Esel bockt, sodass einen Moment lang nichts vorwärtsgeht auf der etwa eineinhalb Meter breiten Gasse.

Die Zeit scheint stehen geblieben

30.000 Einwohner, 3.000 Esel, drei Autos – die Insel Lamu vor der Nordküste Kenias ist ein Musterbeispiel für gut erhaltene Suahelikultur. "Es wirkt, als wäre die Zeit vor 700 Jahren stehen geblieben", sagt eine Reisende aus Berlin, die die Insel, insbesondere die Inselhauptstadt Amu, seit Jahren regelmäßig besucht. Der einzigartige kulturelle Mix der Insel, die lange enge Beziehungen zum Oman hatte, ist auch der UNESCO nicht entgangen. Seit dem Jahr 2001 ist das Stonetown in Lamu, die autofreie Altstadt von Lamu, zum UNESCO-Welterbe gekürt. Ein Prädikat, das normalerweise für einen Tourismusboom sorgt – doch dieser ist hier nicht zu verzeichnen. Die Stadt lockt zwar Aussteiger an, aber kaum Partytouristen.

Abbas Fundi Mumini, der mich durch Amu führt, berichtet von Schattenseiten des UNESCO-Prädikats. "Mindestens 60 % der Häuser in der Altstadt gehören inzwischen Ausländern. Die Einheimischen können sich die Preise nicht mehr leisten, sie ziehen in den Suaheli-Teil des Ortes, der nicht zum UNESCO-Welterbe zählt", berichtet Mumini. Dort geht es deshalb viel geschäftiger zu auf den Straßen.

Enge Verbindungen zum Oman

Ausländische Besucher zieht es nicht allein an den Strand in Shela, sondern häufig auch in die Altstadt: Dort finden sich Häuser aus Muschelkalk und Lehm, maximal drei Stockwerke hoch, mit stabilen Balken aus Mangrovenholz. Meist mit schönem Innenhof und so konstruiert, dass es niemals zu heiß wird. Auch wenn ein Teil davon unbewohnt ist, kann man sich dem Charme des Ortes schwer entziehen. Gästeführer Abbas Fundi Mumini lenkt meine Aufmerksamkeit immer wieder auf die kunstvollen Holztüren, die es in verschiedenen Stilarten gibt: die Oman-Tür, die Pate-Tür, die Lamu-Tür und die Sansibar-Tür. Wer mehr zur Geschichte der Suaheli-Kultur erfahren will, besucht das Lamu-Museum, das gerade restauriert wird und deshalb während meines Besuchs vorübergehend im Lamu Fort untergebracht ist. Diese Bastion wurde von 1813 bis 1821 erbaut und anfangs stand sie unter der Kontrolle des Sultans von Oman.

Im Fort spreche ich mit Kurator Mohammed Ali Mwenje, der entschieden widerspricht, als ich ihm sage, dass ich gehört habe, dass 60 % der Häuser in der UNESCO-Zone inzwischen Ausländern gehören. "Nein, so viele sind das nicht, es sind vielleicht 15 %", schätzt er. Dennoch, so räumt er ein, habe die Erklärung zum UNESCO-Erbe zu Preissteigerungen und auch zu einer Gentrifizierung geführt. "Wenn man die Häuser auf alte Art und Weise renovieren will, braucht man Materialien, die man nur mit Sondergenehmigung noch bekommen kann, zum Beispiel Mangrovenholz und traditionellen Lehm."

Ohne Esel geht wenig

An der Kaimauer zwischen Lamu und Shela liegen Steine, Schotter und Bauholz. "Das ganze Baumaterial wird per Boot von der Nachbarinsel Manda gebracht und hier abgeladen. Dann transportieren es die Esel in die Altstadt. Ohne unsere Esel könnten wir die Häuser gar nicht reparieren", sagt Duncan Kahindi, der seit vielen Jahren auf Lamu lebt und versteckte Plätze auf den Sanddünen kennt, von denen aus der Sonnenuntergang besonders beeindruckend beobachtet werden kann. Auf dem Weg zum seiner Meinung nach schönsten Sunset-Spot hält er im Ort Mararani in einer kleinen Kneipe an, in der Kokoswein serviert wird. Ein weißes Getränk, das ähnlich wie Apfelmost oder Federweißer schmeckt und nur wenig Alkohol hat. "Die Muslime hier trinken es vor allem, wenn es noch ganz süß und kaum vergoren ist – denn sie sagen, dann hat es noch keinen Alkohol", berichtet Kahindi.

Auf Lamu gibt es über dreißig Moscheen, aber auch einige Kirchen. Hauptattraktionen des Ortes sind jedoch die verwinkelten Gassen, das beeindruckende Fort und das Museum zur Inselgeschichte. Darüber hinaus gibt es auch noch andere Lokalitäten, die einen Besuch lohnen. Etwa das Eselkrankenhaus direkt an der Uferpromenade, das Suaheli-Haus-Museum und ein Museum, das die Geschichte der zwischen 1888 und 1891 bestehenden deutschen Poststation auf Lamu nachzeichnet – und das Einblicke gibt in die kurze Zeit, in der die Region um den Tana-Fluss auf dem kenianischen Festland als Deutsch-Wituland auf den Landkarten vermerkt war. Am frühen Abend lohnt es sich, die Uferpromenade entlangzuspazieren. Dort wird arabischer Kaffee ausgeschenkt, Eis verkauft – und meist auch ein kleiner Fischmarkt aufgebaut, auf dem die Fischer den Fang des Tages präsentieren. Als Ausländer wird man leicht von einem der Bootsbesitzer angesprochen, die Schnorchelausflüge und Sonnenuntergangs-Segeltouren feilbieten.

Kultur und Strand

Arnold Starosczyk, ein gebürtiger Landshuter, der seit 2008 auf Lamu lebt und hier ein kleines Gästehaus betreibt, hat fast ganz Kenia bereist. Er ist überzeugt davon: Lamu ist der schönste Platz an der kenianischen Küste – insbesondere dank der einmaligen Verbindung von Strand und Kultur. Die meisten seiner Gäste bleiben für drei oder vier Nächte, andere aber auch ein oder zwei Monate. Sicherheitsbedenken, so beteuert er, müsse man auf der Insel nicht haben. "Der letzte Vorfall hier war im Jahr 2011, seither ist es ruhig", erläutert Starosczyk, der in seinem "Jambohouse" während der Corona-Pandemie ein Plakat aufgehängt hatte, das COVID-Prävention auf anschauliche Art vermittelt hatte: Einfach immer eine Eselslänge Abstand halten. In den kaum einen Meter breiten Gassen war das zuweilen gar nicht so einfach.

Reise-Informationen: Lamu
  • Anreise: Lamu liegt in Kenia und ist von Nairobi, Mombasa oder Malindi aus per Flugzeug erreichbar. Direktflüge nach Mombasa haben Eurowings Discover und Condor im Angebot, Umsteigeflüge unter anderem auch Ethiopian Airlines und Kenya Airways. Für die Weiterreise empfehlen sich Flüge mit Safarilink, Skyward Express, Fly540 oder Jambojet. Der Flughafen befindet sich auf der Insel Manda, der Transfer nach Lamu erfolgt per Boot.
  • Einreise: Für die Einreise ist ein mindestens sechs Monate über die Reise hinaus gültiger Reisepass sowie ein elektronisches Visum notwendig. Dieses kann über die Website https://evisa.go.ke/evisa.html beantragt werden und muss vor dem Abflug aus Deutschland ausgestellt sein. Die Kosten für dieses E-Visum liegen bei etwa fünfzig UD$. Das Visum ermöglicht einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten.
  • Reisezeit: Die Hauptsaison in Kenia dauert von Dezember bis März sowie von Juli bis Oktober – jeweils direkt nach der Regenzeit.
  • Übernachten:
  • Jambohouse Lamu, E-Mail: info@jambohouse.com, www.jambohouse.com, charmantes Hostel mit deutscher Leitung mit schöner Dachterrasse und Blick über die Altstadt.
  • Peponi Hotel, E-Mail: reservations@peponihotel.com, www.peponihotel.com, Boutiquehotel mit schöner Strandlage in Shela.
  • Diamond Beach Village, Manda Island, E-Mail: info@diamondbeachvillage.com, www.diamondbeachvillage.com, Öko-Strandresort mit gutem Restaurant auf der Insel Manda, direkt gegenüber von Shela Beach.
  • Auskünfte: Kenya Tourism Board, Tel.: +254-20-2711-262, E-Mail: info@ktb.go.ke; www.magicalkenya.com oder www.magicalkenya.com/mkse/
  • Anmerkung/Compliance: Die Recherchen erfolgten mit Unterstützung des BKM, der VG Wort und des Programms Neustart Kultur.



Autor
Rainer Heubeck

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (7) Seite 66-68