Virushepatitiden sind nach wie vor häufige Erkrankungen. Dabei hat die Zahl der klassischen Virushepatitiden (A, B, C) abgenommen, wobei dies insbesondere bei der Hepatitis B auf die erfolgreiche Impfung zurückzuführen ist. Auch gegen die Hepatitis A gibt es eine Impfung, die allerdings als Reiseimpfung eher bei Erwachsenen zum Einsatz kommt.

Die meisten Kolleg:innen werden die großen Erfolge bei der Behandlung der chronischen Hepatitis C in den letzten Jahren verfolgt haben und zu Recht kann man bei der Hepatitis C von einer mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit heilbaren Erkrankung sprechen.

Gibt es damit überhaupt noch Probleme bei den viralen Hepatitiden und wann muss man als Primärbehandler an eine virale Hepatitis denken? Diese und auch andere Probleme und Fragestellungen im Zusammenhang mit den viralen Hepatitiden will ich im Folgenden beleuchten.

Eine Kasuistik

Zunächst möchte ich Ihnen einen Patienten vorstellen. Es handelt sich um einen 38 Jahre alten Mann, der sich mit Müdigkeit und Abgeschlagenheit in der Sprechstunde vorstellt. Er ist vor 15 Jahren mit seinen Eltern aus Russland nach Deutschland gekommen und arbeitet als Fernfahrer für eine Spedition. In der durchgeführten Laboruntersuchung fallen erhöhte Transaminasen (GPT 110 U/l, GOT 85 U/l, YGT 90 U/l) auf. Die Thrombozyten sind mit 124.000/ml gering erniedrigt. Die sonstigen Laborwerte zeigen keine wesentlichen Auffälligkeiten, der INR-Wert liegt bei 1,3. Die Sonografie der Leber zeigt eine gering vergrößerte und noch glatt erscheinende Leber mit einer ebenfalls vergrößert erscheinenden Milz mit einem Längsdurchmesser von 13 cm.

Die erweiterte serologische Labordiagnostik ergibt folgende Virusserologie:

  • Anti HAV IgG: positiv
  • Anti Hbc IgG : pos / IgM. neg.
  • HbS Ag: pos. / Anti HbS : neg.
  • Anti HCV: neg.
  • HBV DNA : 230 IU/ml

Die geringe Höhe der HbV-DNA zeigt eine niedrige Replikationsrate des Hepatitis-B-Virus. Bei dieser typischen Konstellation sollte jede Untersucher:in hellhörig werden. Sowohl in Europa als auch in den USA und Asien ist es seit Langem üblich, eine chronische Hepatitis B mit niedriger Viruslast nicht mit einem sogenannten NUC (Nucleosidanalogon) zu behandeln. In der Vergangenheit nannte man diese Patientengruppe auch asymptomatische Virusträger, was ein niedriges Krankheits- und Progressionsrisiko beschrieb. Bei solchen Patient:innen erwarten wir normalerweise unauffällige Transaminasen und sonografisch keinen Hinweis auf eine fortgeschrittene Leberschädigung. Anders ist die Situation bei unserem Patienten. Er hat trotz niedriger Virusmenge deutlich erhöhte Transaminasen und auch ohne Histologie muss man aufgrund der Sonografie von einer fortgeschrittenen Lebererkrankung, vermutlich sogar einer Leberzirrhose ausgehen. Was kann also die Ursache für diese Diskrepanz der Befunde sein?

Co-Infektionen sind möglich

Eine zusätzliche Bestimmung der Antikörper gegen Hepatitis Delta und ergänzend die Bestimmung der HDV-RNA erbrachte die Antwort. Der junge Mann hat eine Co-Infektion mit Hepatitis B und D. Bei einer solchen Co-Infektion kommt es typischerweise zu einer reziproken Replikationshemmung mit der Folge einer hohen D- und niedrigen B-Virusmenge.

Aus diesem Grund sollte bei jeder Patient:in mit einer chronischen Hepatitis B, also mit einem über 6 Monate nachzuweisenden HbS-Ag, eine Bestimmung der Antikörper gegen Hepatitis D erfolgen. Sind die AK positiv, muss zusätzlich die HDV-RNA bestimmt werden. Nur in dieser Konstellation kann von einer chronischen Hepatitis Delta gesprochen werden. Der Nachweis einer chronischen Hepatitis D hat für den Patienten eine große Bedeutung. So handelt es sich bei dieser Co-Infektion um die gefährlichste Variante einer viralen Hepatitis mit dem höchsten Progressionsrisiko zu einer Leberzirrhose und zu einem hepatozellulären Karzinom.

Hier hat sich in den letzten 3 Jahren ein echter therapeutischer Fortschritt ergeben. Durch die wissenschaftliche Arbeit insbesondere auch deutscher Wissenschaftler:innen der Universitätsklinik Heidelberg ist es gelungen, die Eintrittspforte des Hepatitis-B-Virus in den Hepatozyten zu identifizieren. Da es sich bei dem Hepatitis-D-Virus um ein inkomplettes Virus handelt, welches zur Replikation stets das B-Virus benötigt, war es möglich, durch Blockade des entsprechenden Rezeptors eine effektive Methode zur Behandlung auch der Hepatitis Delta und möglicherweise auch einen weiteren Therapieansatz zur Behandlung der Hepatitis B zu finden.

Neue Therapieoption

Das Medikament Bulevirtide mit Handelsnamen Hepcludex muss allerdings subkutan und täglich appliziert werden, und auch die Dauer der Therapie ist bislang nicht vollständig klar. Trotzdem ist es ein großer Erfolg und dieses Jahr wurden Behandlungsdaten über 48 Wochen auf dem europäischen und amerikanischen Leberkongress demonstriert, die nicht nur einen deutlichen Effekt auf die Virusreplikation, sondern auch auf Parameter der Leberschädigung (Fibrosemarker, Syntheseparameter) zeigten. Für den in unserem Fall vorgestellten Patienten bedeutet dies eine echte Chance, die ansonsten vermutlich sichere Entwicklung zu einer fortgeschrittenen Leberzirrhose oder zu einem hepatozellulären Karzinom zu verhindern.Ob dieses Medikament auch eine Behandlungsoption für die chronische Hepatitis B darstellt, ist noch unklar. Da es ja lediglich die Eintrittspforte für eine Neuinfektion eines Hepatozyten durch das Hepatitis-B-Virus blockiert, würde es theoretisch sehr lange dauern, bis eine effektive Verminderung des Hepatitis-B-Genpools im infizierten Patienten zu bemerken wäre.

Bezüglich der Behandlung der chronischen Hepatitis B beschreitet man auch andere Wege. So ist neben der heutigen Standardbehandlung mit Nucleosidanaloga (Tenofovir, Entecavir und Tenofovir Alafenamid) auch die Behandlung mit pegyliertem Interferon alpha weiter eine Therapieoption. Allerdings ist die hohe Nebenwirkungsrate des Interferons zu beachten, die zum Beispiel eine Behandlung von Patient:innen mit einer bereits bestehenden Leberzirrhose ausschließt. Trotzdem wurden auf dem diesjährigen europäischen Leberkongress Daten einer großen Behandlungskohorte aus China veröffentlicht, die bei Patient:innen mit chronischer Hepatitis B Interferon als additives Medikament zu Nucleosidanaloga oder in der Folge nach einer bereits erfolgten Behandlung einsetzten. Diese große Beobachtungsstudie mit dem Namen Everest Project zeigte hohe (bis 30 %) Raten an HbS-Ag-Verlust. Überhaupt ist der HbS-Ag-Verlust ein wenig der "Holy Grail" der Hepatitis-B-Forschung, zeigt er doch nach unseren jetzigen Maßstäben die sogenannte funktionelle Heilung der chronischen Hepatitis B an. Wir wissen seit mehreren Jahren, dass selbst bei effektiv behandelten Patient:innen mit einer chronischen Hepatitis B, die konsequent ein Nucleosidanalogon nahmen, diejenigen, die einen Verlust des HbS-Ag zeigten, einen besseren Outcome bezüglich der Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms haben.

Ist eine Heilung möglich?

Die Zukunft der Behandlung der chronischen Hepatitis B wird deshalb verschiedene Wirkansätze miteinander kombinieren, um eine funktionelle Heilung und eventuell auch die komplette Eradikation des Hepatitis-B-Genpools aus der Leber zu erreichen. Auch hier wurden in diesem Jahr Studienergebnisse zu verschiedenen Wirkansätzen vorgestellt. Dabei werden Medikamente, die die Produktion von Hüllproteinen des B-Virus hemmen (sog. CAM`s-capsid assembly-Modulatoren) ,genauso zum Einsatz kommen wie Ansätze zur gesteigerten Immunantwort oder interferierende RNA- bzw. Antisense-Oligonucleotide, die die Translation der Virusproteine verhindern. Sinn all dieser Maßnahmen ist die Heilung der chronischen Hepatitis B.

Aber auch bezüglich der Impfung gegen Hepatitis B gibt es Fortschritte. So verfolgt eine deutsche Arbeitsgruppe unter Leitung von Frau Prof. Dr. Protzer das Ziel einer therapeutischen Impfung, die sowohl die B- als auch die T-Zell-Immunität stimuliert. Auch hier könnte eine Heilung der chronischen Hepatitis B erreicht werden. Hierzu wurde der Impfstoff TherVacB entwickelt, ein heterologer, pangenotypischer Mosaikimpfstoff. Die TherVacB-Impfung beinhaltet 3 Injektionen im Abstand von je 4 Wochen. Zunächst erfolgt die Grundimmunisierung: Es werden zweimal im Abstand von 4 Wochen HBV-Proteine gespritzt, um spezifische Helfer-T-Zellen und B-Zellen zu aktivieren, die mit der Produktion von neutralisierenden Antikörpern beginnen, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Zudem werden durch die Grundimmunisierung Effektor-T-Zellen aktiviert. Eine weitere Impfung, der MVA-HBVac-Vektor-Boost, erfolgt 4 Wochen nach der zweiten Grundimmunisierung und bewirkt eine breite T-Zell-Antwort, die schließlich das HBV kontrollieren und eliminieren soll. In diesem Jahr hat eine Studie begonnen, um die Wirksamkeit dieses Therapieansatzes zu untersuchen.

Erfolge durch Impfung

Außerdem wurde kürzlich in der EU ein neuer Hepatitis-B-Impfstoff zugelassen. Heplisav B® von Dynavax ist zur Immunisierung von Erwachsenen gedacht und besteht aus rekombinantem Hepatitis-B-Oberflächenantigen und einem Adjuvans. Der Impfstoff muss nur zweimal injiziert werden und zeichnet sich durch sehr hohe Effektivität aus. In 3 Studien waren die Seroprotektionsraten nach der zweiten Heplisav-B-Dosis im Vergleich zur Standardimpfung höher.

Auch bezüglich der Hepatitis C gibt es Erfolge. Die Therapie der chronischen Hepatitis C ist durch die Einführung der direkt antiviral wirkenden Medikamente bereits seit einigen Jahren einfach, hocheffektiv und nebenwirkungsarm. Praktisch alle Patient:innen können mit diesen Medikamentenkombinationen in 8 oder 12 Wochen geheilt werden. Trotzdem gibt es Therapieversager oder auch Relapser. Hier ist zumindest in Europa die Kombination von 3 Substanzen, die in einem Kombimedikament unter dem Namen Vosevi angeboten werden, die übliche Rescue-Therapie. Diese Therapie, die über 12 Wochen durchgeführt wird, wurde nun in einer großen multizentrischen Studie unter Real-Life-Bedingungen untersucht. Es zeigte sich auch hier eine eindrucksvolle Heilungsrate (SVR, sustained virological response). Mehr als 95 % dieses schwierig zu behandelnden Patientenklientels wurden dauerhaft virusfrei. Negative Prädiktoren waren hier nur der Genotyp 3 und das Vorhandensein eines hepatozellulären Karzinoms, nicht aber eine Leberzirrhose.

Nicht vergessen darf man aber, dass auch nach erfolgreicher Heilung die Patient:innen weiter ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines hepatozellulären CA haben. Insbesondere dann, wenn bereits eine Leberzirrhose eingetreten ist. Aus diesem Grund sollten solche Patient:innen auch weiterhin sonografisch und laborchemisch überwacht werden.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das Gebiet der Virushepatitiden einen überaus dynamischen Bereich der Inneren Medizin darstellt mit sehr großen Erfolgen, aber auch weiter bestehenden großen Aufgaben, deren baldige Lösung aber wahrscheinlich erscheint.

Wichtig für die Sprechstunde
  • Bei der Hepatitis B gibt es Fortschritte durch eine therapeutische Impfung.
  • Die Behandlung der Hepatitis C ist durch direkt antiviral wirkende Medikamente hoch effektiv geworden.
  • Auch nach erfolgreicher Heilung haben Patient:innen noch ein erhöhtes Risiko für ein hepatozelluläres CA.


Literatur:
1. Xie C, et al. ILC 2022; SAT369
2. Choi SJH, et al. ILC 2022; SAT415
3. Hirode G, et al. AASLD 2021 Nov 12-16
4. Guo J , et al Antiviral Res. 2015 Oct; 122: 91–100
5. Terrault N. et al. Hepatology, Volume75, Issue3 , March 2022, Pages 709-723
6. Hamill S. et al. EASL 2022
7. Graf C. et al OS 003 EASL 22
8. Wedemeyer H, et al. ILC 2022;GS006


Autor

© privat
Dr. Gero Moog

Fachpraxis für Gastroenterologie und Hepatologie, stat. Abteilungen für Gastroenterologie am Elisabeth und Marienkrankenhaus in Kassel
34127 Kassel
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert

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Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (7) Seite 14-17